«Wie viele Pakete kommen per Luftfracht aus China in die Schweiz?»
25.06.2024
Vieles ist nebulös rund ums Thema Temu und Shein. Zum Beispiel, wie viele Pakete zu welchen Konditionen aus China in die Schweiz gelangen. Wir haben beim Bundesamt für Zoll und Grenzschutz (BAZG) nachgefragt – ein Interview mit Rolf Schrefel, Chef Nichtzollrechtliche Erlasse.
Herr Schrefel, wie sieht die Situation beim Zoll aus, ob der unzähligen Kleinsendungen von Temu und Shein?
Rolf Schrefel: Waren des Onlinehandels gelangen je nach Versender auf unterschiedlichen Kanälen in die Schweiz. Es gibt die klassischen Postsendungen, die im Ausland per Post aufgegeben wurden und in der Schweiz in Mülligen durch die Post abgefertigt werden. Daneben gibt es den Kurierverkehr bekannter Firmen, die einen Teil solcher Sendungen behandeln. Die grossen Player wie Temu liefern ihre Waren jedoch direkt in die Schweiz und lassen die Zollanmeldungen durch hierfür zugelassene Firmen in der Schweiz erstellen.
Und wie kontrolliert das BAZG die Pakete?
Es gibt im Onlinehandel eine grosse Anzahl an Kleinsendungen, die wertmässig unter dem Betrag von rund 62 Franken liegen. Aus verwaltungsökonomischen Gründen werden Steuerbeträge bis 5 Schweizerfranken nicht erhoben und bei einer Bemessungsgrundlage von 62 Schweizerfranken beim MWST-Satz von 8,1% können diese Sendungen abgabefrei veranlagt werden. Bei der riesigen Menge an Sendungen ist es nicht möglich, jede physisch zu kontrollieren. Im Postverkehr klassieren die Mitarbeitenden der Post die Pakete mit Klebern, grün für abgabefrei oder rot für abgabepflichtig. Für abgabefreie Sendungen gilt die grüne Etikette als Zollanmeldung. Für abgabepflichtige Sendungen wird eine elektronische Zollanmeldung erstellt. Für Sendungen, die nicht auf dem Postkanal geliefert werden, wird in jedem Fall eine elektronische Zollanmeldung erstellt. Auch hier gilt jedoch der erwähnte Grundsatz der Abgabenerhebung.
Können Sie sagen, wie viele Pakete alleine aus China per Luftfracht in die Schweiz kamen?
Nein, die Anzahl Pakete können wir nicht exakt beziffern. Als Anhaltspunkt können wir sagen, dass im Jahr 2023 alleine im Postkanal in Mülligen knapp über 20 Millionen Pakete aus dem Ausland zollrechtlich abgefertigt worden sind. Wie bereits erwähnt, beinhaltet dies nicht das grosse Volumen von Versendern wie Temu. Im Bereich Spielwaren kann ich eine Aussage zur Anzahl Einfuhrzollanmeldungen generell machen, um die Menge etwas zu verdeutlichen. Als Beispiel habe ich für eine beliebige Woche im März 2024 die Sendungen der Tarifnummer 9503.0000, also für Spielwaren, ausgewertet. Es waren 37'000 Sendungen für private Empfänger sowie Firmen. Und das sind nur diejenigen, für die eine elektronische Zollanmeldung e-dec, das heisst ohne die grün geklebten Pakete im Postverkehr, erstellt wurde.
Das waren also bloss die 5 Prozent der abgabepflichtigen Pakete?
Das lässt sich so nicht genau sagen, da ausser im Postverkehr auch für abgabefreie Sendungen eine elektronische Zollanmeldung eingereicht wird. Zudem existiert für Kleinsendungen die Möglichkeit der vereinfachten Zollanmeldung, welche keine Eingrenzung auf die Tarifnummer ermöglicht. Seitens Wirtschaft gibt es Stimmen, die fordern, dass unter gewissen Voraussetzungen keine Zollanmeldung mehr eingereicht werden muss. Dadurch wären noch weniger Daten vorhanden, was Kontrollen schwieriger macht.
Wäre es praktisch möglich, alle Sendungen der MWST zu unterstellen?
Aus verwaltungsökonomischen Gründen werden Kleinsendungen von Billigstprodukten, wie sie bei Temu oft vorkommen, deren MWST-Betrag im Rappenbereich liegt, nicht verrechnet. Hier soll in Zukunft jedoch die Plattformbesteuerung greifen.
Wie kontrolliert der Zoll Pakete, von denen wir wissen, dass sie in China systematisch zwecks Steuerersparnis so aufgeteilt werden, dass keine Mehrwertsteuer anfällt und Fälschungen bekannter Markenartikel enthalten?
Der Zoll führt seine Kontrollen risikobasiert durch. Stellen wir fest, dass eine Sendung falsch deklariert wurde, veranlassen wir eine entsprechende Korrektur, allenfalls drohen strafrechtliche Konsequenzen. Bei Waren mit Verdacht auf Produktpiraterie informieren wir den Markenrechtsinhaber. Unabhängig davon, auf welchem Kanal die Sendungen in die Schweiz kommen, können wir jederzeit an den entsprechenden Orten physische Kontrollen durchführen.
Was können Sie gegen Produktpiraterie unternehmen?
Wir als BAZG sind im Bereich der Produktpiraterie feststellende Behörde. Informationskampagnen wie zum Beispiel von Stop Piracy, die Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie, sensibilisieren die Bevölkerung. Zudem thematisierten in den vergangenen Jahren diverse Medien in allen Landesteilen die Problematik, häufig verbunden mit einem Besuch in Mülligen oder bei einer Firma im Kurierverkehr. Inwieweit dies eine Wirkung erzielt, ist nicht messbar. Die Zahlen zeigen, dass weiter in grossem Masse online im Ausland bestellt wird. Das Risiko, dass das eigene Paket hängen bleibt, ist somit offensichtlich kein Hinderungsgrund, Waren zu bestellen, die womöglich das Markenrecht verletzen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Hinweis: Rolf Schrefel hat am 30. April am Round Table des SVS zum Thema ausländische Online-Marktplätze teilgenommen. In der Folge entstand dieses Interview, welches das BAZG nun in dieser Form freigegeben hat. Der SVS kritisiert die schwache Haltung des Bundesrates sowie die Untätigkeit der Bundesämter und fordert von der Politik, für Fairplay zu sorgen mit gleichen Regeln für alle Marktplayer.
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